Text: Lilith Wika
Wie prägt Popkultur unsere Beziehungen? Warum hatte Twilight so viel Erfolg und wie hat Twilight mein Verhalten in Liebesbeziehungen geprägt, nachdem ich das dort vermittelte toxische Beziehungsbild geschluckt hatte?
TW: Toxische Beziehungen
Die Twilight-Saga ist die Wunschvorstellung davon, was passiert, wenn man sich in den Kopf gesetzt hat, jemanden verändern zu können, der bereits anfänglich mehrere red flags zeigt.
Bella Swan steht in einem nebligen Wald. Ihre Körperhaltung ist angespannt. Hinter ihr Edward Cullen, der immer bedrohlicher auf sie zukommt.
„Du bist unfassbar schnell und stark. Deine Haut ist blass und eiskalt. Deine Augen wechseln die Farbe. Und manchmal sprichst du, als wärst du aus einer anderen Zeit. Du isst oder trinkst nie etwas. Du meidest die Sonne.“ Edward kommt Bella immer näher, steht jetzt hinter ihr. „Wie alt bist du?“, fragt sie. „17“ sagt er. Sie fragt, wie lange er schon 17 sei und er sagt: „Eine Weile“. Die Kamera fährt im Kreis um sie herum, Bella atmet schwer, Edward fokussiert sie. „Ich weiß, was du bist“, sagt sie. „Sag es“, presst er zwischen seinen Lippen hervor. „Ich will es hören“, ergänzt er bedrohlich leise und dann nochmal lauter, dringlicher: „Sag es!“
„Ein Vampir“, sagt Bella schwer atmend.
„Hast du Angst?“, fragt er weiter.
„Nein“, sagt Bella und dreht sich zu ihm um.
„Dann stell mir die elementarste Frage: Was essen wir?“
„Ich habe keine Angst vor dir“, sagt sie.
Warum rennt Bella nicht weg? Was ist ihr Anreiz?
Ein paar Augenblicke später, nachdem Edward Bella gewaltvoll am Arm gepackt hat, sie den Berg hinaufgezerrt und schließlich mit ihr auf dem Rücken den Wald bergauf gerannt ist, um ihr zu zeigen, dass er im Sonnenlicht wie eine beharrte Discokugel aussieht,
(sie findet das wunderschön)
redet er weiter.
Er sagt ihr, dass seine Haut die eines Mörders sei, dass er ein Mörder sei
(das glaubt sie ihm nicht).
Er sagt ihr, dass er das gefährlichste Raubtier der Welt sei, dass er sie und ihre Bewunderung nicht nötig habe, dass sie ihm nicht davonlaufen oder sich wehren könne, dass er erschaffen worden wäre, um zu töten
(„ist mir egal“, sagt sie daraufhin)
Er sagt ihr, dass er Menschen getötet hätte,
(„das spielt keine Rolle“, sagt sie).
Er sagt ihr, dass er sie töten wollte, dass er noch nie das Blut eines Menschen so sehr begehrt habe, dabei kommt er ihr immer näher.
(„ich vertraue dir“, sagt sie).
Warum ist Bella eine Relationsfigur? Woher kommt Bellas Urvertrauen in Edward, warum reagiert sie kontraintuitiv, nachdem er ihr sagt, dass er sie töten wolle?
Er sagt: „Tu das nicht.“, sie sagt: „Ich bin hier, ich vertraue dir.“ Nachdem er auf einen Ast gesprungen ist, guckt er ihr tief in die Augen und sagt: „Aber du und dein Duft – das ist wie eine Droge für mich. Wie meine ganz persönliche Droge.“
„Wieso hast du mich anfangs so sehr gehasst?“, fragt sie.
„Das tat ich, weil ich dich so sehr wollte. Ich weiß immer noch nicht, ob ich mich kontrollieren kann.“
Sie steigt hoch zu ihm auf den Baum und sagt: „Ich weiß du kannst es.“
Dann gehen sie hinter einen großen moosbewachsenen Stein. Edward drängt sie dagegen und sagt: „Ich kann deine Gedanken nicht lesen. Du musst mir sagen, was du denkst.“ Und Bella sagt: „Jetzt habe ich Angst.“ Und er sagt: „Gut.“
„Ich habe keine Angst vor dir“, sagt sie weiter. „Nur davor, dich zu verlieren. Dass du plötzlich verschwindest.“
Edward guckt angespannt, mit gerunzelter Stirn, auf ihre Lippen und sagt: „Ich habe so lange auf dich gewartet.“ Er legt seine Hand auf ihre Brust.
„Und so verliebt sich der Löwe in das Lamm.“
„Was für ein dummes Lamm“, sagt sie.
„Was für ein kranker, masochistischer Löwe“, sagt er.
Warum fallen so viele Mädchen darauf hinein und schwärmen für diese „Liebesgeschichte“, obwohl Bella selbst sagt, wie dumm sie sei? Wer will die persönliche Droge von jemandem sein? Ich habe noch nie jemanden gehört, der so offen zugegeben hat, sich in ein Abhängigkeitsverhältnis zu begeben. Bella und Edward sind weder kompatibel noch sind sie auf einer Wellenlänge und trotzdem sind sie nach ihrer ersten längeren Konversation sofort verliebt. Edward weiß sofort, dass er auf genau sie gewartet hat.
Das liegt daran, dass Edward mit Subtext kommuniziert und Subtextkommunikation nur dann funktioniert, wenn die Kommunikationspartnerin den übermittelten Subtext einordnen und verstehen kann. Bella kann Edwards Subtext einordnen, weil sie unter anderem den Ansatz internalisiert hat, dass Liebe weh tut, beziehungsweise weh tun kann. Edward sagt Bella, dass sie gehen soll, aber sein Subtext sagt: Bitte bleib bei mir und beweis, dass ich liebenswert bin (ob er sich selbst dieses Subtextes bewusst ist, ist eine andere Frage). Edward hadert nämlich teilweise mit seinem Vampirdasein, mit der damit einhergehenden Brutalität; er sieht sich selbst als Monster. Sobald er aber von Bella bedingungsloses Vertrauen entgegengestellt bekommt, füllt dies die Lücke, die sein nicht vorhandenes Selbstwertgefühl ausgelöst hat. Deswegen will er insgeheim, dass sie bleibt, auch wenn er sagt, sie solle gehen.
Als er Bella sagt, dass er sie am Anfang gehasst habe, weil er sie so sehr wollte, hört sie nicht, dass er sie gehasst hat, sondern hört nur den Teil, indem sie ein begehrenswertes Subjekt (Objekt?) für ihn darstellt.
Bellas internalisierter Wunsch ist es, als Frau besonders zu sein und das denkt sie zu werden, indem sie es schafft, an den kalten, scheinbar herzlosen, unerreichbaren Mann heranzukommen. Dadurch wird ihr Selbstwert erhöht, denn je verschlossener und unantastbarer der Mann erscheint, desto einzigartiger wird sie als Verführerin eines solchen Eisblocks. Sie glaubt, ihn retten zu können, vor sich selbst und seiner schlimmen Vergangenheit. Sie will ihm beweisen, dass er zu Gutem fähig ist, in diesem Fall: sie nicht zu töten und stattdessen zu lieben[1].
Woher nimmt Bella das Selbstbewusstsein, mit dem sie Edward versichert, dass er sich kontrollieren kann, nachdem er genau das bezweifelt und obwohl sie ihn gar nicht kennt?
Bella fühlt sich geschmeichelt, sie fühlt sich bereits besonders, weil sie der Auslöser dafür ist, dass dieser in ihren Augen attraktive Mann seine Gelüste (und Mordgedanken) potenziell nicht kontrollieren kann. Sie ist dabei der Tornado, der seine Lust aufwühlt, das verleiht ihr Macht und indem sie ihm versichert, dass er sich kontrollieren können wird, gesteht sie ihre ursprüngliche Macht ein. Zum anderen ist dieser Vertrauensbeweis Bellas etwas, wonach Edward sich zutiefst sehnt: dass jemand Vertrauen in ihn setzt; ihn, trotz seiner mörderischen Vergangenheit, liebt und nicht verlässt.
Diese Schlussfolgerung ist übertragbar, dafür muss man kein Vampir sein.
Bella funktioniert als Relationsfigur, weil Frauen gesellschaftlich schon lange vermittelt wird, dass ihr einziger Sinn und Wert darin besteht, an der Seite eines Mannes zu stehen. Junge Mädchen schauen Twilight und finden den normschönen Edward genau so attraktiv wie Bella es tut (ob das ganze Konzept funktionieren würde, wenn er nicht normschön wäre, ist eine andere Frage) und sie verfolgen aufgeregt die „Liebesgeschichte“ der beiden. Sie wünschen sich auch, die Kraft bzw. die Schönheit zu haben, mysteriöse Jungmänner wie Edward retten zu können und dadurch ihren Wert zu steigern.
Edward sagt, er habe das starke Bedürfnis, Bella beschützen zu müssen. Wovor? Vor sich selbst, schließlich wollte er sie töten? Er behandelt sie wie etwas sehr Schützenswertes, wie etwas Zartes und Sanftes, wie ein Lamm. Damit nimmt er ihr die Autonomie, sich selbst schützen zu lernen oder wenigstens die Option, auszuwählen, wovon man sich schützen lassen möchte.
Als Mann der „alten Schule“, möchte Edward mit dem Sex bis nach der Ehe warten. Was ein Gentleman, möchte man (nicht) sagen. In diesem Fall macht diese Entscheidung Edward umso attraktiver und begehrenswerter für Bella, sodass sie ihn am Ende fast schon anflehen muss, endlich mit ihr zu schlafen. Dadurch bekommt sie ein Kontrollgefühl übermittelt (sexuelle Situationen brechen nicht über sie herein, sie kann sie nur selbst herbeiführen). Dieses Kontrollgefühl trügt aber, denn in der Realität werden oft Maschen dieser Art von Jungs angewandt, die genau wissen, dass sie die Mädchen mithilfe sexueller Lust kontrollieren und sie immer weiter anlocken, indem sie scheinheilig und manipulativ sagen, sie würden nicht den ersten Schritt machen.
Das hier vermittelte Beziehungsbild könnte (fast) nicht toxischer sein, denn es verschleiert jegliche Toxizität und Inkompatibilität. Trotz des großen Machtgefälles (hunderte Jahre alter männlicher Vampir vs. siebzehn Jahre altes Mädchen) wird das Bild vermittelt, dass Liebe und sexuelle Anziehung allein ausreichen können, um in einer gesunden Beziehung zu sein. Dass es weitaus mehr braucht (z.B. Kompatibilität, Kommunikations- und Reflexionsfähigkeiten) und meistens nur in Twilight so schön endet, wird komplett außen vorgelassen.
„Uhm kommst du mit düsteren Sachen klar?“, schreibt er mir im Januar 2020.
Daraufhin telefonieren wir 90 Minuten lang und er erzählt mir von seiner Vergangenheit. Erzählt mir, was er schon alles durchgemacht hat, erzählt mir von seinem Schmerz. Ich zittere beim Telefonieren. Der Raum, in den ich zum Telefonieren gegangen bin, ist ungeheizt und ich bin aufgeregt. Er habe schon schlimme Sachen gemacht, sagt er. Menschen verletzt. „Das ist Vergangenheit“, sage ich.
Er erzählt mir von seiner Exfreundin, die ihn verlassen hat. Von anderen Mädchen, die ihn verlassen haben. „Ich verspreche dir, ich verlasse dich nicht“, sage ich und meine es so.
„Entweder bist du total verrückt oder übermäßig optimistisch“, sagt er lachend. Ich freue mich, ihm zu beweisen, dass ich anders bin als die anderen Mädchen. Freue mich, ihm zeigen zu können, wie liebenswert er ist.
Es ist der erste Tag, an dem ich seine Nummer habe und einer der ersten, an denen wir jemals miteinander sprechen.
Irgendwann frage ich ihn, was sein Ziel ist, so allgemein.
Er schreibt: „Mein Ziel ist es zu einem König aufzusteigen, klingt hochtrabend, ist es aber nicht.“
Seine Freunde machen mich nervös, ich treffe sie nie. Unterbewusst ist er mir schon zu viel.
Er sagt, er wird mich nicht küssen, aber schickt mir nachts um drei eine Sprachnachricht in der er sagt, dass er mich küssen will.
Eines Nachmittags sitzen wir uns im Schneidersitz auf seinem Bett gegenüber und warten.
Er küsst mich nicht. Ich soll ihn zuerst küssen. Wir warten.
Dann küsse ich ihn, wir küssen uns eine Stunde lang. Als er mich danach fragt, woran ich denke, frage ich ihn, ob er die Lampen an seiner Decke bei Ikea gekauft hat.
Er gibt mir viele Ratschläge, die mir mal mehr mal weniger helfen. Wir telefonieren oft nächtelang. Dabei zittere ich. Wegen der Schmetterlinge.
Ich schreibe viele Gedichte über ihn. „Schlechte“ Gedichte auf Englisch, die mir im Nachhinein wie ein Hilfeschrei aus der Vergangenheit vorkommen, aber die mir damals geholfen haben, mich durch meine Gedanken und Gefühle zu hangeln.
I hate how much power you have
I hate this stage of feeling trapped
I hate the way it turned out
I don´t deserve how you treat me
but I can´t stop thinking about
how close we were
our future, I see
unrealistic but beautiful in theory
how I fooled myself
believe me, I can´t wait for the day
I say I´m free
(2021)
Oft bleibt er nächtelang mit mir am Telefon und versucht mich zu beruhigen, wir warten zusammen bis mein Zittern aufhört (was es nie tut), wir begründen das damit, dass er mich so einschüchtert, und werten es als etwas positiv Aufregendes.
Das Zittern endet immer sofort, wenn wir aufgelegt haben.
Ich habe fast zwei Jahre lang durchgängig Durchfall.
Damals hatte ich Angst, nie wieder jemanden wie ihn zu treffen.
Das Zittern war nie aufgeregtes Verliebtsein, es war Unwohlsein, es war mein Körper, der mich warnen wollte.
Irgendwann brach der Kontakt ab. Vor einem Jahr hat er sich dann mit einer Entschuldigung erneut bei mir gemeldet. Er schrieb unter anderem, dass ihm die Schwere seiner Taten nicht bewusst gewesen sei.
„Ich akzeptiere deine Entschuldigung“, antwortete ich ihm.
„Vielen Dank“, ist jetzt das Letzte, was in unserem Chat steht.
Ich frage mich, ob er manchmal daran denkt, dass ich ihm versprochen habe, zu bleiben.
Ich frage mich, ob er ahnt, dass das ungeplante Brechen dieses Versprechens eine der besten Entscheidungen meines Lebens war.
[1] Piep Piep Piep, wir ham uns alle lieb
und essen uns heute nicht.
Lilith Wika, Dezember 2023
@lilithwika