Bitterer Kaffee

Text: Zoe R. | Illustration: Zoe R. und Carl Eller

Triggerwarnung:
Der nachfolgende Text enthält Schilderungen, die Menschen mit einer psychischen Prädisposition beeinträchtigen könnte.

Ich habe eine beste Freundin, sie heißt Paula. Wir sagen uns alles. Allerdings hat sich etwas zwischen uns geschlichen. Seit einiger Zeit ist da jemand anderes. Meine ständige Begleitung. Sie ist da, wenn ich einschlafe, nicht nur irgend so ein One-Night-Stand; sie bleibt über Nacht und hält mich vom Schlafen ab, denn eine Decke für uns beide ist einfach zu klein.

Morgens macht sie mir Frühstück und eine große Tasse Kaffee, deren bitterer Geschmack mir meinen Tag gestaltet. Wenn ich Sport mache oder meine anderen Freundschaften versuche zu pflegen, verblasst meine ständige Begleitung. Vor allem Disziplin mag sie nicht, da ist sie immer ganz schnell weg. Doch nachts, wenn ich wieder alleine in meinem Bett liege, überkommt sie mich, leistet mir zuverlässig Gesellschaft und redet mir ein, dass ich wirklich so einsam, hässlich und vor allem wertlos bin. Sie ist paradox, denn manchmal taucht sie auch auf, wenn ich auf Parties bin. Umhüllt von wilden, betrunkenen und liebenden Menschen, wird sie groß und ich, neben ihr, werde sehr, sehr klein.

Meine ständige Begleitung ist in dem Sinne kein*e Stalker*in, meine ständige Begleitung ist meine Depression. Ich habe sie die Untröstliche getauft, denn egal wie gut ich ihr zurede, sie ist und bleibt sorgenschwer – und wie klein sie auch ist – sie wird immer da sein.

Auf sie war für eine lange Zeit verlass, denn sie verließ mich nicht. Ich versuche stets unabhängig zu sein und für meine Rechte zu kämpfen. Aber mich von den Stimmen meiner Depression zu emanzipieren, war der steinigste Weg in meinen zwanzig Jahren und dies ist eine Wegbeschreibung.

Im Sommer 2019 überwältigte mich ein mentaler Zusammenbruch. Es war nicht der erste, doch der erste dieses Ausmaßes. Die Reaktionen meiner besten Freunde waren bestärkend, herzlich, berührt und traurig. Aber die Depression war sauer und enttäuscht – denn sie war der festen Überzeugung, dass ich mir selbst nicht vertrauen kann, dass eine Pause von meinem Studium nur zeige, wie schwach ich wirklich bin.

Trotz positiver Zureden war ich immer wieder vor allem eins: Allein mit der Untröstlichen. Egal, wie oft ich sie angeschrien habe, sie solle sich verdammt noch mal verpissen, egal, wie viele Pfützen voller Tränen ich vergossen habe, wie viele Löcher ich an meine Decke gestarrt habe (ein Wunder, dass das Haus noch nicht zusammengebrochen ist), sie fesselte mich an mein Bett. Morgens schnürte sie mir Gewichte ans Bein, sodass es auch Tage gab, an denen ich einfach dalag und weiter meine Decke durchlöchert habe. Sie mischte sich in Unterhaltungen ein und kommentierte mein Verhalten, sodass sie den Kontakt zu meinen Freunden fast unmöglich machte. Wir lagen dann oft streitend zu Hause, während meine Freunde ihre Trauer oder Freude, oder beides, mit Alkohol zu verstärken oder zu beseitigen versuchten und versuchten mit dem Tanzen ihre Seele zu befreien. Dort setzt der Teufelskreis ein. Denn meine Ängste ließen mich allein im Bett liegen, sie redeten mir ein, es sei besser zu schlafen oder Netflix zu schauen. Den anderen bereite man ja eh keine Freude.

Manche meiner Freund*innen waren der Meinung, ich müsse mich nur zusammenreißen.

Sozialarbeiter*innen beim Berliner Krisendienst und Ärzt*innen wussten nichts weiter zu sagen als: „Oh, sie haben ja ein ganz schönes Päckchen zu tragen. “ Und Jetzt?

Psychische Krankheiten sind unsichtbar, denn man sieht sie nicht. In den schlimmsten Phasen gehen Betroffene nicht aus dem Haus, man sieht sie nicht, sie sind und bleiben die Unsichtbaren. Doch auch psychische Krankheiten sind behandlungsbedürftig wie ein gebrochenes Bein, man kann die Therapie nicht einfach hinauszögern und warten. Trotzdem fehlt es am notwendigen Mitgefühl der anderen und meistens an Krankenbesuchen, die man mit einem gebrochenen Bein sicher beschert bekäme. Und vor allem anderen fehlt es an den überlebensnotwendigen Therapieplätzen.

Ich war eine derjenigen, die durch Zufall und eine große Prise Glück innerhalb kürzester Zeit einen Therapieplatz bekam. Doch dieses große Glück haben die Wenigsten. Dank dieser intensiven Therapie habe ich gemerkt, dass das Gehirn, sowie jeder Muskel unseres Körpers, trainierbar ist. Dass Gedanken, die automatisch erscheinen, ersetzbar sind.

Nun ist die Depression verblasst, manchmal schleicht sie sich nachts unter meine Bettdecke und haucht dunkle Sätze in mein Ohr. Zwischen Paula und mir passt sie aber nicht mehr. Und mein Kaffee, der schmeckt nun auch nicht mehr so bitter.


Falls ihr Hilfe braucht wendet euch an diese Anlaufstellen:

1. In akuten Krisen die kostenlosen Rufnummern der Telefonseelsorge:
0800/ 111 0 111 oder 0800/ 111 0 222
Mehr Infos zur anderen Beratungsarten hier.

2. Jede Kommune hat einen Sozial-Psychiatrischen Dienst, dieser ist Teil des öffentlichen Gesundheitsdienstes. An diesen kann man sich zur Krisenintervention oder Nachsorge melden, such einfach nach dem Sozial-psychiatrischen Dienst in deiner Umgebung. Jeder Bürger hat Anspruch auf die kostenfreien Beratungen des Sozial-Psychiatrischen Dienstes.

3. Außerdem gibt es in Berlin zusätzlich den Berliner Krisendienst.

4. Auf der Suche nach einem Therapieplatz hilft die Kassenärztliche Vereinigung deiner Stadt.
Die Kassenärztliche Vereinigung kann dir ein Erstgespräch bei einer/ einem Psychotherapeut*in innerhalb von vier Wochen vermitteln.

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