Text: Salome Marte I Kunst: Lu Kohnen
Vor nicht viel mehr als hundert Jahren haben europäische Länder einen großen Teil der Welt beherrscht und ausgebeutet. Heute ist die Grenze der EU die tödlichste weltweit. Flüchtende Menschen, die es hierher schaffen, werden in Elendslager gesperrt, nur manche von ihnen kriegen die Chance auf ein Leben in Sicherheit. Gleichzeitig wird über die Kolonialzeit wenig aufgeklärt, während das aktuell so wichtige Robert Koch-Institut nach einem Arzt benannt ist, der zur Kolonialzeit Menschenexperimente an Schwarzen durchführte. Ein Plädoyer für eine kritische Aufarbeitung unserer kolonialen Vergangenheit.
Letztes Jahr habe ich ein paar Monate lang auf der griechischen Insel Lesbos mit flüchtenden Menschen gearbeitet. Dort konnte ich einige Kongoles*innen kennenlernen, die aus ihrem Land vor Korruption und Kriminalität geflohen sind. Wir konnten auf Französisch miteinander sprechen und viele von ihnen erzählten mir, dass sie gerne in Frankreich oder Belgien ein neues Leben anfangen wollen. Eine Freundin fragte mich, ob Belgien Menschen aus dem Kongo aufnimmt, und ich versuchte es für sie herauszufinden. Ich konnte ihr keine eindeutige Antwort geben und habe mich daraufhin gefragt, ob Belgien nicht so etwas wie eine historische Verantwortung gegenüber dem Kongo hat: Belgien beherrschte seine kongolesische Kolonie Ende des 19. Jahrhunderts überaus brutal – sie versklavten die Bevölkerung, vergewaltigten, zwangen sie zur Arbeit, bestraften, indem sie Hände abhackten und mordeten massenweise.
Auf die kongolesische Kolonialzeit unter Belgien folgte eine lange Diktatur und noch heute ist das mittlerweile demokratische Land von Unruhen und dem Einfluss von Milizen geprägt. Durch die Kolonialmacht geschaffene Probleme wie die willkürliche Grenzziehung der kongolesischen Republik trugen einen Teil dazu bei, dass sich das Land bis heute nicht ganz von seiner kolonialen Unterdrückung erholt und stabilisiert hat.
Und dennoch sitzen allein auf Lesbos hunderte Kongoles*innen fest und warten oft über ein Jahr lang darauf, eventuell weiter reisen und dann vielleicht in Belgien bleiben zu dürfen. Mir erscheint das überaus skrupellos und unfair.
Natürlich geht es nicht nur um ein belgisches sondern um ein europäisches Problem: Die Kolonialzeit wird als lange zurückliegendes, quasi verjährtes Zeitalter wahrgenommen. Gerade Deutschland ist gut darin, frei nach dem Motto: „Aufarbeitung unserer Geschichte? Wir reden doch schon über den Holocaust!“. Natürlich müssen wir auch weiterhin über den zweiten Weltkrieg reden, Schulausflüge in ehemalige Konzentrationslager machen und politische Entscheidungen treffen die „nie wieder!“ zu mehr als leeren Worten machen. Das stetige Erinnern an diesen Teil der deutschen Geschichte ist extrem wichtig. Nur müssen wir bei der kritischen Betrachtung unserer Geschichte auch noch etwas weiter zurückgehen: Wir müssen schonungslos ehrlich über deutsche Kolonialverbrechen reden.
Einige dieser Verbrechen beging der noch heute viel gelobte und geehrte Arzt Robert Koch:
„[Er] reiste ins heutige Tansania und Uganda um ein Gegenmittel für die damals kursierende Schlafkrankheit zu finden. Seine unfreiwilligen ,Behandlungen‘ waren hauptsächlich darauf ausgerichtet, die Ausbreitung der Krankheit zu stoppen und so die Arbeitskraft der Bevölkerung zu erhalten – nicht darauf, seine Patient*innen zu heilen.
Seine ersten Versuche die Krankheit mit Atoxyl, einem arsenhaltigen Mittel, zu bekämpfen zeigten keine langfristigen Wirkungen, daraufhin erhöhte er die Dosis. Obwohl es zur damaligen Zeit schon bekannt war, missachtete er, dass Arsen in höherer Dosierung stark giftig ist und z.B. Erblindung verursachen kann. So nahm Robert Koch die auftretenden Nebenwirkungen, unter anderem starke Schmerzen, Erblindungen und den Tod seiner Patient*innen bewusst in Kauf.“ (aus dem Petitionstext)
Ich habe eine Petition geschrieben, die die Umbenennung des Robert Koch-Instituts fordert. Wir brauchen eine aktiv antirassistische Gesellschaft, frei von kolonialen Überresten – ein nach Koch benanntes Institut ist damit nicht vereinbar.
Dass das RKI (Robert Koch-Institut) noch immer nach diesem Menschen benannt ist, ist nur möglich, da die deutsche Kolonialgeschichte kaum im Bewusstsein der deutschen Bevölkerung verankert ist.
Neben der Umbenennung möchte ich deswegen erreichen, dass mehr Bewusstsein über deutsche Kolonialverbrechen entsteht. Ich gehe davon aus, dass ein aufgeklärter Umgang mit diesem Teil unserer Vergangenheit zu einer veränderten Perspektive auf unsere heutige Außenpolitik führen wird. Wenn wir uns bewusst sind, dass wir Teile der Welt ausgebeutet haben, dann erscheint es nur fair, wenn wir spätestens jetzt etwas zurückgeben – wir könnten damit anfangen, Menschen aus den Elendslagern am Rande der EU aufzunehmen. Nicht aus Gnade, sondern aus Solidarität, historischer Verantwortung und schlicht und einfach weil wir die Mittel dazu haben.
Wir können das Warten und Bangen von flüchtenden Menschen auf Lesbos beenden. Wir können den Menschen dort zeigen, dass sie das Recht auf ein sicheres Leben in der EU haben.
Also lasst uns unser rassistisches Erbe dekonstruieren, lasst uns über die Kolonialzeit diskutieren und aufklären und Überbleibsel, die die Täter von damals verehren, entfernen. Lasst uns das RKI umbenennen. Lasst uns Institute, Straßen, Schulen, Apotheken und Sportplätze nach Menschen benennen, zu denen wir auch heute noch aufschauen können. Lasst uns Statuen auf den Kopf stellen.