von Fanny Neubauer| Bilder © Julie Matthées und Fanny Neubauer
Sonnendurchflutet stehst du da und tust mir einfach gut. Mit dir ist es irgendwie mühelos, nichts wühlt sich auf und ich fühle mich weich und sanft mit dir. Aufmerksam musterst du meine Haare. Deine Fingerspitzen trommeln im Takt der Musik gegen deinen Oberschenkel. Irgendwie ist es ganz still im Raum. Kleine Staubflocken wirbeln im Strahl und ich fühle mich betrunken. Ich würde gerne mit meinen Fingern deine Haut berühren. An deinem Arm hoch und runterfahren. Ich finde, du solltest immer berührt werden. Jetzt musterst du meine Ohren. In deinen Augenwinkeln bilden sich kleine Fältchen. Weißt du, was man nie aufhalten kann? Zeit. Wir sind alt geworden. Irgendwie so erwachsen. Würde gerne mit dir schaukeln gehen und einen Sandkuchen backen. Aber das wäre kindisch. Würde dir gerne unbefangen meine Wahrheit ins Gesicht sagen und mit meinem Bauch fühlen. Aber das kann ich nicht, hab’s irgendwie verlernt. Würde mich gerne wütend und traurig auf den Boden werfen oder ganz laut singen. Aber das gehört sich nicht. Was habe ich als Kind eigentlich gerne gemacht?
Jetzt begutachtest du meine Füße. Eine Strähne deines Haares löst sich von den anderen und fällt dir in die Stirn. Ich mache einen Schritt in deine Richtung. Dein Blick ist nun auf meinen gerichtet. Ich hab mich so an dich gewöhnt. Und tue es immer mehr. Schritt für Schritt, Tag für Tag. Ich sage etwas, du lächelst und schlägst die Augen nieder. Bei dir ist es wie bei einem Haiku, du brauchst nicht viele Worte, um mir viel zu sagen. Ist doch eh besser als viele Worte zu verwenden, aber eigentlich wenig zu sagen. Oder war es: Viel sagen und wenig meinen? Egal.
Hier drinnen passen wir so gut zusammen. Wie ein eingespieltes Team und ich frage mich stillschweigend, ob dein Nachname zu meinem Vornamen passt. Aber was ist, wenn die Welt uns da draußen schräg anguckt oder gar auslacht? Was ist, wenn wir da draußen nicht mehr funktionieren wie ein eingespieltes Team? Meine Hand nicht in deine passt und ich den Klang deiner Stimme in Verbindung mit Straßenlärm nicht ertragen kann? Mich deine Gangart nervt oder die Art und Weise, wie du durch die Gegend schaust. Manchmal frage ich mich, sind wir lebensmüde oder einfach nur müde vom Leben? Und ich frage mich, lassen sich Meinungen ignorieren? Was war zuerst da, das Huhn oder das Ei? Ich würde mir gerne mit dir das Glück einreden, bis es endlich kommt und nach Supersparpreisen für in die Heimat schauen.
Manchmal verstehe ich deine Sprache nicht, wie wenn ich italienischen Kochsendungen lausche, nur weil ich die Melodie so gerne höre. Ich verstehe sie nicht, aber ich höre dich so gerne. Ist doch egal, was die von uns denken, oder? Du machst einen Schritt auf mich zu, streckst die Hand nach mir aus und ich berühre sie. Unsere Haut passt gut aufeinander. Wenn du mich berührst, schließe ich die Augen und atme. Meine Rebellion zerspringt in tausend kleine Einzelteile. Du bist meine Ruhe. Jetzt nimmst du mein Gesicht zwischen deine Hände, streichst eine Strähne hinters Ohr. Du hast mich in der Hand und ich lasse mich fallen, so wie du’s mir immer geraten hast. Ich frage mich, ob du auch manchmal mit dem Staubsauger tanzt oder angeregt mit den Zimmerpflanzen sprichst. Ich öffne wieder die Augen, du streichst mit deinem Daumen über meine Unterlippe. Warum denke ich jetzt gerade an übermorgen? Hab meine To-Do-Liste im Kopf: Ich muss noch Tofu kaufen und meine Mails mal checken. Mal wieder lange schlafen, Geld an irgendeine Organisation mit Tieren spenden. Meine Eltern anrufen und grundlos die Augen verdrehen. Über Umweltpolitik diskutieren, mich im Spiegel beobachten, schreien, Sekt zum Frühstück… versuche sie zu verdrängen und bei dir im Moment zu sein. Warum fällt mir das so schwer?
Ich folge aufmerksam deinem Blick. Unsere Körper schmiegen sich aneinander und ich bekomme Lust auf Sex. Aber nur für zehn Minuten, weil die Wäsche noch im Trockner ist. Mist, schon wieder nicht im Jetzt. Ich atme tief ein, kann deinen Herzschlag spüren. Dein Gesicht ist in Licht getaucht und deine Augen leuchten in kühlen Tönen. Ich liebe an dir, dass du mir Zeit gibst. Denn die einzige Entscheidung, die ich momentan ertragen kann, ist zu wissen, was ich zum Frühstück essen will. Oder zu entscheiden, ob zu Pasta am Abend besser roter oder weißer Wein passt. Oder ob das Glas halb voll oder halb leer ist. Rührei und Kaffee, schwarz. Rotwein natürlich, weißer passt besser zu Fisch, sagt Jamie Oliver.
Das Glas ist voll – je zur Hälfte mit Wasser und je zur Hälfte mit Luft, bin schließlich Realistin. Und wenn mich jemand fragen würde, würde ich immer mit den zehn Nachkommastellen von Pi antworten. Denn mein Mathelehrer hat immer gesagt, das sei die beste Antwort auf alle Fragen. Würde man über uns schreiben, so würde man sagen:
„Zusammen waren sie besser alleine.
Zwei Köpfe voll von Schnapsideen.
Sie waren die Puppenspieler dieser absurden Partie namens Leben.“
Aber sie werden nicht über uns schreiben, wir gehören nicht in ihre Köpfe, sind kein Teil ihrer Gedanken. Doch warum habe ich das Gefühl, etwas zu verlieren? All das Gewohnte in mir erlischt mit jeder neuen Berührung. Da fällt mir ein, heute ist Sonntag und ich habe Lust online Karten zu spielen. Vielleicht spielst du ja mit oder ist das blöd? Was ist, wenn wir die Gewohnheiten des anderen nicht akzeptieren? Ich weiß, dass du gerne alleine zu Abend isst, und ich trinke gerne in Gesellschaft. Ich weiß, dass du gerne frische Bettwäsche riechst, und ich steh auf die Zigarette danach, wenn der Qualm sich mit der Lust auf mehr vermischt. Ich weiß, dass du gerne im Hintergrund Musik spielen lässt, doch ich mag meine Gedanken nicht so laut hören. Ich weiß, dass du gern im Chaos lebst, aber meine Finger greifen immer leicht neurotisch nach deinen Sachen.
Und plötzlich denke ich an Kompatibilität und an Kants Kritik der Urteilskraft und daran, dass mich der Unistoff schon jetzt zu sehr stresst. Doch du stehst immer noch einfach nur da. Hältst mich im Arm und atmest leise in mein Ohr. Gott, höre ich dich gerne atmen. Okay, weißt du was? Scheißegal, was die da draußen von uns denken, sollen sie doch sagen, was sie zu sagen haben.