Was machen wir mit der Welt – was macht die Welt mit uns?

von Timea Kurzhals | Bild: © Leonie Ziem

Nach der Schule wollte ich raus hier. Raus aus dem Komfort. Raus in die Welt. So viel war für mich klar, und viel mehr auch noch nicht. Da ging es mir wie vielen anderen. Diese globalisierte Welt hatte mich mit Fernweh gefüllt, ich hatte Lust auf Abenteuer.

Von Menschen und Musik

Damals habe ich noch nicht viel darüber nachgedacht, was für ein Privileg es ist, dass mir und meinen Abenteuern nichts im Weg stand außer meiner eigenen Gemütlichkeit. Ebenso wie vielen in Deutschland lebenden, jungen Menschen standen mir verschiedenste Möglichkeiten offen, nur die Entscheidung und Vorbereitungen blieben zu treffen.

In meinem Fall fiel die Entscheidung in dem Moment, als ich Musiker ohne Grenzen (MoG) entdeckte. MoG ist eine unabhängige Freiwilligenorganisation, entstanden aus einer Studierendeninitiative. Seit 2012 bietet die Hamburger Organisation Musiker*innen (oft, aber nicht ausschließlich jungen Menschen) die Möglichkeit, in Projekten in Ecuador, Jamaika und Ghana Musik zu unterrichten.
Wenn du mindestens 18 Jahre alt bist, Interesse an einem musikalischen Einsatz von mindestens drei Monaten und Freude an der Musik und ihrer Vermittlung hast, findest du die Infos zum Bewerbungsprozess hier.

© Timea Kurzhals

„Spielend Perspektiven schaffen – mit Musik“

– das ist der Leitsatz, das ist das, was wir tun. Doch obwohl diese fünf Worte die Grundidee sehr gut widerspiegeln, können sie doch nicht all das einfangen, was während so eines Auslandsaufenthaltes passiert – um uns und in uns.

Das werde ich an dieser Stelle mit ein paar mehr Worten probieren – der Gefahr bewusst -, dass meine Ausführungen letztlich genauso inkomplett bleiben.

„Ich gehe durch die staubigen Straßen in Richtung Stadtzentrum, zügig, den Blick geradeaus gerichtet. So viel zu sehen, aber wirke ich interessiert steigt die Wahrscheinlichkeit (nein, das Risiko) angesprochen zu werden. Die Pfiffe folgen mir auch so und ich habe nicht die leiseste Idee was diese fremden Männer sagen, oder wie ich reagieren könnte.“

Ankommen an einem neuen Ort kann schwierig sein. Für mich ist es das sogar meistens, das habe ich auch bei meinem Umzug kürzlich innerhalb Deutschlands gemerkt, umso intensiver aber in Ecuador. Klar, denn obwohl meine Mitfreiwilligen und ich von ehemaligen MoGs bei einem Vorbereitungsseminar auf unsere Zeit in Playas vorbereitet wurden, ist hören und erleben immer etwas ganz anderes. 

Es war schön, im Vorhinein ein paar Tipps zu bekommen, welche Fettnäpfchen vielleicht umgangen werden können und es war wichtig, Gedankenanstöße mit auf den Weg zu nehmen, durch die ich schon vor Beginn der eigentlichen Reise zu Selbstreflexion und zur Etablierung meiner persönlichen Grenzen angeregt war – selbst dann, wenn viele durchdachte Erwartungen komplett über den Haufen geworfen wurden. 

Es war auch ein tolles Gefühl, schon vor dem Auslandsaufenthalt ein Teil des Musiker ohne Grenzen-Netzwerkes zu sein, nach Erfahrungen und Empfehlungen fragen zu können und sich unbekannter Weise zu all den anderen Freiwilligen zugehörig zu fühlen.

Was das Ankommen aber letztendlich zu einem so aufregenden, spannenden und wunderschönen Erlebnis gemacht hat, waren die Menschen die ich in Playas rund um das Musikprojekt ‚Ola Sinfónica‘ kennenlernen durfte. 

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Da gibt es Angela und Paco, die auf einer Finca ein Stück außerhalb der kleinen Stadt leben und dort Mangos und Papayas anbauen. Paco spielt am liebsten die romantischen, ecuadorianischen ‚Pasillos‘ auf der Gitarre und verbringt viel Zeit damit, sich und die anderen Finca-Besitzer vor dem Großkonzern zu verteidigen. Dieser will ihnen ihr Land abkaufen und die einzige Zugangsstraße zu dem kleinen Dorf durch Abwasser des groß angelegten Zuckerrohranbaus versperren. 
Da sind Marie und Gabriel, die mir immer einen Rückzugsort und ein offenes Ohr geschenkt haben und die die verrücktesten Geschichten erzählen können, von all den Orten an denen sie schon gelebt und ihren Abdruck hinterlassen haben. 

Dann ist da Gipsy, eine witzige junge Frau mit riesigem Herzen, die inzwischen jedes Angebot des CentroIntercultural ausprobiert hat. Es gibt wohl kein Instrument mehr, auf dem sie nicht mindestens ein paar Töne spielen kann. 
Da sind Jose und Narcisa, zwei junge Menschen die Unmengen ihrer Freizeit in das Projekt stecken, organisieren, musizieren und uns Freiwillige immer wieder im CentroIntercultural und in ihren Leben willkommen heißen. 
Da sind auch Roberto, der blinde Gitarrenlehrer; Marvin, der verliebt ist in deutsche Philosoph*innen; Pablo, der schon unzähligen Freiwilligen das Surfen beigebracht hat.
Und natürlich ist da meine Gastfamilie, die mich in ihrem Zuhause aufgenommen und wie eine eigene Tochter behandelt hat. 
Wie hätte ich mich noch fremd fühlen können, nachdem all diese wundervollen Menschen mich in ihr Leben gelassen haben?

© Timea Kurzhals

„Musik ist eine Sprache, für die es keine Worte braucht.“

Es ist ein ganz schön großes Ding, junge Menschen in ein fernes Land zu schicken, um dort dann ‚kulturellen Austausch zu betreiben‘. Es gibt so viele unterschiedliche Konzepte und Ideen für solche Projekte, so viel Unternehmenslust und auch so viele Kritikpunkte und Probleme. Was können wir uns überhaupt herausnehmen, wenn wir so hineinplatzen in eine andere Kultur? Wie wirken wir auf die Menschen vor Ort? 

Musiker ohne Grenzen sehe ich als einen Anstoß, als den Beginn eines Gesprächs, das ohne Antwort ins Leere laufen würde. Wir MoGs reisen nach Ecuador, Ghana oder Jamaika und bieten uns und unsere Fähigkeiten an, um die Musik mit anderen Menschen zu teilen. Dass es kein bloßes Unterrichten ist und dass wir selbst am Ende wohl am meisten lernen, liegt auf der Hand. 

© Timea Kurzhals

Auch wenn sich die Gespräche anfangs durch Sprachbarrieren und unterschiedliche Kommunikationsmuster kompliziert gestalten können, so vergeht doch oft nicht viel Zeit bis man sich die Horizonte gegenseitig zurechtgerückt hat. Verständigung passiert immer irgendwie, und für mich gibt es kaum eine schönere Art zu Kommunizieren als durch die Musik. 

Man braucht bloß zusehen, etwas abschauen, ausprobieren und vor allem: aufeinander hören. Und dann hat man vielleicht noch nicht direkt klare Noten und technische Fähigkeiten, aber auf jeden Fall eine Menge Spaß zusammen.
Musik verbindet, ganz mühelos.

„Die Wellen brechen mit einem leisen platschen gegen die Felsen am Strand. Die ‚fragatas‘ ziehen kreischend über dem Pazifik ihre Kreise, während ich von unten zu ihnen aufblicke. Ich treibe, auf einem Surfbrett, und warte vergeblich auf die Wellen, die heute nicht mehr kommen werden. Unter mir das Wasser, über mir der Himmel. Ich denke, dass es so ein Moment gewesen sein muss, in dem das Wort Freiheit erfunden wurde.“

Um ein*e Musiker*in ohne Grenzen zu werden, muss man kein Profi sein. Alles was nötig ist, ist Offenheit, Leidenschaft für die Musik und den Willen, diese Leidenschaft mit anderen zu teilen. Dann bleibt nur noch, Kontakt aufzunehmen, die Noten in den Koffer zu schmeißen und auf geht es (…naja, so oder so ähnlich!).

  1. Pingback: Tschüss 2019 – sai

  2. Danke für den schönen Einblick in deine Zeit mit Musiker ohne Grenzen. Den von Dir beschriebenen Lern- und Erfahrungsprozess bei den Freiwilligen während ihres Aufenthaltes habe ich persönlich kennenlernen dürfen, als ich mit Musiker ohne Grenzen in Jamaika war.

    Gemeinsam Musik machen kann verbinden und Austausch zwischen Kulturen und Menschen aus verschiedenen sozialen Schichten fördern meiner Meinung nach. Gegenseitiger Respekt und Einfühlungsvermögen kann auf beiden Seiten weiterentwickelt werden, verbunden mit der Chance auf eine gerechtere Welt.

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