Warum ich die Abtreibungsdebatte völlig unbrauchbar finde

von Rebecca Militz | Illustration: © Nora Boiko

Mal ganz ehrlich. Die Debatte um Schwangerschaftsabbruch verliert ihren Inhalt. Klar, alle streiten sich gerade im Rahmen einer emotional total aufgeladenen Diskussion über die Notwendigkeit, § 219a StGB – a. beizubehalten / b. inhaltlich zu ändern / c. abzuschaffen.
Wobei Plan B sich vermutlich durchsetzen wird. Worüber streiten wir da wirklich? Oder: Worüber sollten wir wirklich streiten?

Wir streiten also erst einmal über Werbung. Werbung. Ich denke da eher an große Plakate, zwei für eins oder besser fünf für zwei, bunt leuchtende Farben oder im einfarbigen Rot „SALE“ – ist ja eh grade Winterschlussverkauf. Abtreibung für 99,99 € in freshem Design? Nein.
Wir streiten hier über die bloße Strafbarkeit des Versendens von E-Mails. Mit Informationen zur Abtreibung versteht sich, das Versenden von Mails im Generellen ist (noch) nicht strafbar. Mails plus Informationen auf einer Website schon. Information ist nun auch ein sehr interessanter Begriff, über den es sich zu streiten lohnen würde, aber nein: Wir streiten uns um Werbung. Werbung für Schwangerschaftsabbruch.

Echt jetzt? 2019 und wir haben nichts Besseres zu tun? Wir hätten wirklich Besseres zu tun. Du fragst dich was? Ohne Anspruch auf Vollständigkeit versuche ich dir mal ein paar Optionen zu präsentieren, denn: Der Streit rund um Werbung für Schwangerschaftsabbrüche ist eine externalisierte Debatte zur Frage, wie wir als Gesellschaft Schwangerschaftsabbrüche generell bewerten. Genau diese Debatte sollte auch im Klartext geführt werden. 

Lebensrecht des Fötus vs. Selbstbestimmungsrecht der Frau

Klar, Abtreibung polarisiert. Wenn zwei verfassungsrechtlich geschützte Rechtsgüter einer Abwägung unterzogen werden müssen, weil nur eines von beiden Vorrang haben kann, ist eine Diskussion logische Konsequenz der Sache. Wir haben also auf der einen Seite das Lebensrecht des Fötus (zum Nachschlagen: Art. 1 I und Art. 2 II 1 GG). Auf der anderen Seite steht dann – suprise – das Selbstbestimmungsrecht der Frau (nochmal zum Nachschlagen: Art. 2 I in Verbindung mit Art. 1 I, außerdem Art. 8 EMRK). Weil die jetzt nicht beide gleich von der Verfassung geschützt werden können, musste da ein Kompromiss her.

Achtung, jetzt wird es juristisch:

Das ungeborene Leben, das sich im Mutterleib entwickelt, steht als selbstständiges Rechtsgut unter dem Schutz der Verfassung. Denn nach überwiegender Ansicht beginnt menschliches Leben nicht mit der Geburt, sondern bereits durch die Verschmelzung von Ei- und Samenzelle oder aber durch die Einnistung der befruchteten Eizelle in die Gebärmutter. Ob das Ungeborene dann selbst schon Träger*in von Grundrechten sein kann, ist ungeklärt. Dem Staat obliegt aber bereits vor der Geburt eine Schutzpflicht. Aus Sicht des Bundesverfassungsgerichts besteht diese Pflicht auch gegenüber der Mutter. Während der gesamten Schwangerschaft genießt der Schutz des ungeborenen Lebens deshalb Vorrang vor dem Selbstbestimmungsrecht der Schwangeren*.
Es ist daher – so das Bundesverfassungsgericht – grundgesetzlich geboten, den Schwangerschaftsabbruch rechtlich zu missbilligen. Noch dabei? Dann hier das Fazit: So entstand das Regelungsmodell der §§ 218 ff. StGB, nach dem Schwangerschaftsabbruch grundsätzlich rechtswidrig und nur in Ausnahmen (medizinische, kriminologische, eugenische oder soziale Indikation) straffrei ist. Die Betonung liegt hierbei auf straffrei – der Schwangerschaftsabbruch wird nicht rechtmäßig, sondern tatbestandslos.

Fassen wir zusammen: Schwangerschaftsabbruch ist nach deutschem Recht unter den Voraussetzungen der Indikationen, eingehaltenen Frist sowie verpflichtendem Beratungsgespräch straffrei. Richtschnur der Gesetze ist dabei der Schutz des ungeborenen Lebens.

Diese Haltung findet sich auch im derzeit so kontrovers diskutierten § 219a StGB wieder: Der Paragraph spiegelt den Wunsch des Gesetzgebers wider, eine Normalisierung und Kommerzialisierung von Schwangerschaftsabbrüchen zu verhindern und damit die gesellschaftliche Haltung zu Abbrüchen zu beeinflussen. 

Allein über die Rechtslage könnten wir noch stundenlang diskutieren: Die Fokussierung auf den Schutz des Fötus im Gesetzeswortlaut, etwa § 219 StGB, wonach sich die verpflichtende Beratung der Schwangeren* vom Schutz des ungeborenen Lebens leiten lassen muss – und gleichzeitig ergebnisoffen sein soll. Die Gesamtheit der Regelungen zum Schwangerschaftsabbruch im 16. Abschnitt des StGB bei „Straftaten gegen das Leben“. Die staatliche (und verfassungsgerichtlich) gewollte Brandmarkung des Schwangerschaftsabbruchs und die einseitige Begünstigung des Schutzes des ungeborenen Lebens in der derzeitigen Rechtssituation.

Okay, wir würden eher tagelang diskutieren. Sogar Monate. Oder Jahre. Jahrzehnte.

Und genau das ist ja auch der Fall – nur gerät diese Diskussion aus dem Blickfeld. Abseits der juristischen Auseinandersetzung mit der Rechtsgüter-Kollision ist der Schwangerschaftsabbruch ein individueller Konflikt, der nicht durch rechtliche Normierung aufgelöst werden kann, sondern eine persönliche ethische Gewissensentscheidung der Schwangeren* erfordert. Warum wird die Entscheidungshoheit dann nicht final in die Hände der betroffenen Person, die die Konsequenzen für die Entscheidung trägt, verlagert? Warum wird der Frau* die Mündigkeit über diese Entscheidung von Staat (und Kirchen) abgesprochen? Warum steht ihre Entscheidung für oder gegen einen Schwangerschaftsabbruch früher wie heute im Zentrum gesellschaftlicher Diskussion?
Fun Fact: Die Debatte, ab wann der Fötus als Person und Träger personaler Rechte gesehen werden kann, entwickelte sich in humanistisch-christlichen Gesellschaften mit dem Christentum und der Frage der „Beseelung“ des Fötus. Mit geringerer Strafe war die Abtreibung des männlichen Fötus vor dem 40. Tag, die des weiblichen Fötus vor dem 80. Tag – jeweils vor der „Beseelung“ – besetzt. Hallo christlich geprägte, patriarchale Gesellschaft.

Selbstbestimmungsrecht – selbsterklärend?

Was wir noch tun könnten? Auch wir jungen Feminist*innen könnten uns mit der Frage beschäftigen, was Selbstbestimmung eigentlich heißt, anstatt ständig inflationär mit dem Begriff um uns zu werfen. Als würde es genügen, den polarisierenden Diskursstrategien der Lebensschützer*innen einmal „Selbstbestimmung“ entgegen zu schreien und die werfen ihre weißen Kreuze auf den Boden und rufen „Shit, sorry, voll vergessen!“ zurück. Wenn wir uns als Feminist*innen nicht einmal sicher sind, was wir mit Selbstbestimmung meinen, sollten wir das Ganze nicht als Kampfbegriff und zentrale Vokabel slash Argument-das-immer-zieht betrachten. Wie selbstbestimmt kann eine Entscheidung der Frau* nach pränataldiagnostischem Befund und pränatalem Bildgebungsverfahren (das meint: Ultraschall) sein? Inwiefern wird die Selbstbestimmung durch einen gesellschaftlichen Normalitätsdruck beeinflusst? Stichwort: Selektive Abtreibung. Warum steht das nicht im Zentrum einer gesamtgesellschaftlichen Debatte?

Gesamtgesellschaftlich diskutieren wir wohl lieber über Werbung.

  1. Toller Text. Danke

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