Warme Hände

von Laura Gerloff | Header: ©Julie Matthées

Du fragst dich das sicher auch manchmal. Wenn du weit weg von allem Gewohnten bist, weil du das schon so wolltest, aber dir dann doch nicht so sicher bist. Wenn du dich nach etwas sehnst, aber du weißt nicht was. Dann fragst du dich sicher auch, was „zuhause sein“ denn bedeutet. 

Du musst dich mal im Zug an die Scheibe stellen, wenn du gerade nach Hause fährst. Sieh dir an, wie die Welt sich vor dir ausbreitet. Oder, wenn du das nicht kannst, sieh dir an wie du auf dieser Welt dahineilst; wie du nach dem Reisen für einen Moment innehältst, weil dich diese Wirklichkeit so überwältigt. 

Sieh der Dämmerung dabei zu, wie sie dich willkommen zurück heißt. Während sie die Wiesen und Wälder grau färbt und dich an das erinnert, was du nicht mehr spüren wolltest als du weggefahren bist und was du jetzt wieder willst – denn sonst wärst du nicht auf dem Rückweg, oder? Draußen dämmert es; auf einmal wird es kurz hell, dann fällt das Grau vom Himmel. Es zieht dich an, dieses Grau; vielleicht aber bist es auch du, du ziehst es an. Das Grau, welches zusammen mit den Regentropfen auf der Scheibe und dem scheinbar lautlosen Zug eine Einheit bildet und dir ihr Angebot zuflüstert: Du kannst immer zurückkommen, wenn du willst. Und ich werde auf dich warten. 

©Julie Matthées

Du fragst dich das sicher auch, was das für ein Gefühl sein muss, irgendwann nicht mehr ständig zu Hause zu sein. Oder, ob wir unser Zuhause verlieren können. Denn wie kann man etwas verlieren, von dem man nicht weiß, ob man es je hatte? Ob wir es wechseln, so, wie wir den Aufenthaltsort wechseln? Ob es immer bleibt, weil es nicht von dir zu trennen ist. Und du fragst dich sicher, wie sich das anfühlt, wenn man nach Hause zurückkommt, aber sich eigentlich nicht sicher ist, ob man da ist. Doch, es muss so sein. Wohin sollte man auch sonst?

Du fragst dich das sicher alles gerade jetzt wie ich, weil du wie ich aus dem Zugfenster schaust und das verstohlene Grinsen des Nordens erblickst, der dich abholt. Da, der Zug bremst und du siehst ihn, wie er dort wartet, mit den Händen in den Hosentaschen am Hauptbahnhof, denn es ist schließlich Anfang September und da brauchst du in Hamburg nach 21 Uhr deine Jacke. 

Und in dem Moment kommt dann alles auf dich zu; so wie es sich eben noch vor dir ausgebreitet hat und du wünscht dir, einfach sitzen zu bleiben, weil aussteigen nun mal hieße, sich festlegen zu müssen. Es hieße, zu lernen, wie es ist, irgendwo anzukommen und sich dort so zu fühlen, als sei das der Ort, um wiederzukommen. Ich kann dir nicht sagen, ob das für dich auch so ist, aber das hier ist mein Zuhause:

Zuhause tut mir weh, es bringt mich zur Verzweiflung, es beengt mich und beschränkt meine Sicht. Zuhause sind alle Leute, die nicht nur meine Gegenwart, sondern auch meine Vergangenheit und Zukunft kennen. Zuhause sind Treppen, deren Stufenzahl ich weiß, Stationen mit Abfahrtszeiten, die ich auswendig kann. Zuhause ist Platzregen am U- Bahn Fenster, während ich am Sonntag wieder nach Hause fahre. Zuhause sind Verpflichtungen, die auf mich warten, das sind kalte Hände, die ich wärmen soll, weil meine irgendwie immer warm sind. Zuhause hält mich fest.

Aber wenn er die Hände aus den Taschen zieht und mich drückt, vielleicht nicht so lang, weil wir das beide nicht so gut können, dann ist zuhause der Wind, der mich bewegt. Dein vor Kälte rotes Gesicht, wenn du deine Schuhe bei mir auf der Matte abtrittst oder meine Atemlosigkeit, wenn ich bei dir im vierten Stock ankomme. Unsere Geborgenheit hinter kalten Fensterscheiben bei dir auf dem Teppich, wenn ich nicht wusste, warum ich da war, aber du wahrscheinlich schon. Zuhause sind dann die Namen der Menschen, wegen denen ich es Zuhause nenne. Zuhause wirft mir dann ein Lächeln zu, wenn ich es gerade brauche, aber erst wenn es sich unbeobachtet fühlt. Zuhause erinnert mich daran, wie sehr ich schon gewachsen bin, weil ich mir den Kopf am Türrahmen stoße, nach dem ich mich früher strecken musste. Zuhause zeigt mir, dass ich immer zurückkommen kann, wenn ich will. Und das kannst du auch. 

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Gefällt dir das sai-magazin?