Dia Internacional Das Mulheres

Text: Aissata Drieling | Bilder: Annette Monheim

Ich glaube an Energien. Ich glaube daran, dass das, dem wir Aufmerksamkeit schenken, größer wird. Weil wir darüber nachdenken, darüber reden und es ein Teil unseres Alltags wird. Es bekommt mehr Energie.

Deswegen finde ich es wichtig, gerade bei politischen Themen, dem Dafür mehr Aufmerksamkeit zu geben, als dem Dagegen. Vor allem in feministischen Kontexten fällt mir oft auf, wie wir uns in Diskussionen über richtig und falsch, Definitionen und Kontroversen verfangen und darin hängen bleiben ohne uns auf unsere gemeinsamen Grundwerte und Ziele zu besinnen. Dabei geht Energie verloren, weil sie in eine Richtung geht, die oft in Verurteilung und unnötiger Ablenkung endet. Das sind die Gedanken, die mir am 8. März durch den Kopf gingen, dem internationalen Tag der Frau, den ich auf einer Demonstration in Lissabon verbracht habe.

© Annette Monheim

Gegen: die eigene Sozialisierung

Ich stehe vor einem eindrucksvollen, weißen Gebäude mitten in Lissabon, dem Parlament, und höre mir die Reden der zurecht wütenden Frauen an. Ich verstehe nur die Hälfte, weil sie auf portugiesisch sprechen. Dennoch gehen mir ihre Worte unter die Haut, wandern über meine Arme bis in mein Herz und treffen dort auf einen wunden Punkt. Das brennt so sehr, dass meine Augen versuchen es mit Tränen zu löschen. Ich frage mich, warum ich so beschäftigt bin zu löschen, statt zu brennen. Ich fühle mich kurz schlecht deswegen, bis die wütende Frauenstimme mich wieder weckt und sagt: „Brich aus, das bist nicht du, das ist deine Sozialisierung!“ Ok wow, ich wusste nicht, dass mich ein theorisiertes Wort wie Sozialisierung so berühren kann.

Gegen: Polizist*innen

Auf den Stufen des weißen, wichtigen Gebäudes stehen, lose verteilt, sechs Polizist*innen und betrachten uns durch ihre Sonnenbrillen. Stramm wie Roboter. Die wütende Rednerin fängt an über Polizeigewalt zu schimpfen, richtet ihren ebenso wütenden Zeigefinger auf die Stufen hinter sich und lenkt so unsere Aufmerksamkeit auf diese Gestalten. Die Demonstrierenden jubeln und zeigen den Polizisten ihre empörten Mittelfinger. Mir schießt ein „wie unnötig“ durch den Kopf. Ich denke darüber nach, was ein Freund, der ein paar Meter hinter mir steht, wohl hierzu denkt. Erst Freitag haben wir über den Job von Polizist*innen geredet, und er erzählte mir von seinen Polizistenfreund*innen und dem Hass, den sie oft ernten.

Gegen Polizist*innen hetzten ist nicht meine Lebensrealität. Ich wurde nie festgenommen. Meine schlimmste, selbst erlebte Erfahrung mit der Polizei ist ein Platzverweis bei einer Demo. Der Rest sind Geschichten von unfreundlichen Polizisten*innen, die meine betrunkenen, pöbelnden Freund*innen vor Clubs abfangen oder gefälschte Ausweise enttarnen. Nie besonders freundlich, aber auch nie eindeutig feindlich. Und trotzdem, ich spüre eindeutig einen Widerstand gegen diese sechs Roboter auf ihren weißen Stufen, die sie höherstellen und alles überblicken lassen. Denn es ist schwer Personen zu mögen, die dich nicht ansehen, von denen du aber weißt, wie viel Macht sie über dich haben. Einfach so. Dazu kommt, dass die Polizei an sich eben nicht die freundlichste und auch nicht die fairste Institution ist und es zu viele Menschen gibt, die Polizeigewalt erlebt haben. Deren Erlebnisse kann ich nicht abtun, egal wie mein eigenes Bild der Polizei aussieht.

Für mich ist die Polizei Teil eines Zauns, der unsere Gesellschaft zusammenhält. Ein Großteil dieser Gesellschaft ist nicht bereit, liebevoll mit Menschen umzugehen, die anderer Meinung sind. Denn alles abweichende ist auch immer ein potentielles Hindernis auf dem Weg zur eigenen Utopie. Die sechs Roboterpolizisten auf der Treppe des Parlaments zum Bespiel sind ein Hindernis für die Forderung der Demo und kriegen jetzt unseren Frust ab. Ich werde sauer, ohne genau sagen zu können worauf. Auf die Roboter und ihre Gleichgültigkeit? Oder auf die Rednerin, die die Roboter anklagt? Wahrscheinlich auf beides, vor allem auf die verschwendete Energie, die ich damit zugebracht habe über die Polizei nachzudenken, wenn ich doch deswegen gar nicht hier bin.

© Annette Monheim

Gegen: Männer ganz allgemein

Ich sehe mich um und entdecke in der Menge einen sehr großen Mann mit einem sehr großen Schild. Auf dem steht: „We all need Feminism because gender stereotypes are shit for everyone“. Ich bin sofort verknallt, so richtig heftig und idealisierend, in dieses simple und ausdrucksstarke Plakat. Ich bekomme ein kribbeln im Bauch von dem Gefühl der Verbundenheit mit dem großen Schildhalter und den ganzen anderen Menschen hier auf diesem Platz. Ich stimme dem großen Mann voll zu, und freue mich darüber, dass er ein nettes Plakat gebastelt hat. Das ist die Stimmung, die ich gerne weitergeben möchte, also poste ich das Bild in meiner Instagram-story.

Natürlich nicht ohne vorher zweimal zu überlegen, ob das ok ist, weil es politisch ist, weil es feministisch ist und weil auf dem Bild der große Mann im Mittelpunkt steht und das in meiner akademischen Gehirnhälfte alles nicht zu mir, geschweige denn zusammen passt. Da ist es wieder, dieses komische Zweifeln und Überdenken, dass so oft einhergeht mit Unsicherheit und mit meiner eigenen Erwartung eine perfekte Feministin zu sein. Schon wieder verschwendete Energie. Who cares. Ich stimme zu, ich will es teilen, ich teile es in meiner Story und hoffe, dass es Leute aufheitert oder sie es ignorieren. Und dann bin ich sehr erfüllt weil ich ich sehe, dass die ganze Verbundenheit, die ich hier physisch spüre, sich auf meinem Instagramfeed auch ausgebreitet hat.

Mein Bauchkribbeln hält an bis … ich auf das Bild eine Reaktion von einer Bekannten bekomme. Die meint, Männer hätten auf dieser Demo nichts zu suchen. Die nicht mag, dass der schildhaltende Mann so groß aussieht und so viel Bedeutung bekommt. She cares. Hm ok, damit spricht sie genau diese Perfektionistin in mir an. Die, mit den zu hohen Erwartungen. Denn für die gibt es in jeder Bewegung, jeder Gruppe, die sich ein Ziel gesetzt hat immer eine Person, die „schlauer“ ist als du, die mehr Fakten, akademischere Theorien, bessere Argumente und sozialkritischere Zusammenhänge erfasst. Ich überlege kurz, ob das hier der Fall ist, ob ich etwas super Wichtiges übersehen habe und mich damit als schlechte Feministin geoutet habe. Glücklicherweise fällt mir dann ein, dass es so etwas nicht gibt und ich auch hier auf einen patriarchalen Trick des Kleinhaltens hereingefallen bin. Das ist diese Sozialisierung, von der die wütende Rednerin sprach. Die Bekannte denkt dies, ich denke das, aber wir wollen das Selbe. Eine grundlegende Veränderung des Normalen zu Gunsten von Gleichberechtigung, ach ja und mehr Menschlichkeit für alle. Darin sind wir uns einig. Und es scheint als wolle der Schildhalter auch das Selbe, also warum dagegen sein? Warum wieder Energie in ein Gegen stecken, wenn doch alles dafür sein kann? Das verschiebt das Problem nur.

© Annette Monheim

Gegen: schlechte Feministinnen

Doch das gibt meinem aufgeladenen, hoffnungsvollen Demoprickeln, meiner Verknalltheit in Feminismen, einen leichten Dämpfer. Die Verschiebung des Problems, diese Konzentration auf alles, das für irgendwen, irgendwo nicht feministisch genug ist. Dieses Gefühl nie smart genug sein zu können, weil es immer eine Perspektive geben wird, die ich übersehe, das alles lässt mich naiv fühlend zurück. Mich, mit meinem dauernden Gerede darüber, dass sich Bewegungen nicht über Hass, sondern Liebe verbinden sollten und meiner Traumvorstellung von einer Welt, in der alle gleichberechtigt sind. In der wir unsere Widersprüche akzeptieren und uns trotzdem zusammen tun, im Idealfall sogar voneinander lernen. Das nenne ich dann emphatischer, intersektionaler Feminismus.

Auf dem Weg nach Hause, sehe ich viele in Lila gekleidete Menschen durch die engen Gassen tanzen, hauptsächlich Frauen. Aber ich hoffe, dass da bald auch ein paar der Roboterpolizist*innen und noch mehr schildhaltende Männer mittanzen.

Dafür: Verbundenheit

Ich verstehe schon, dass es so etwas wie komplette Harmonie nicht gibt. Ohne Reibung, keine Energie. Die und eine große Portion Menschlichkeit brauchen wir, weil Gleichberechtigung im Privaten, wie im Politischen noch nicht gegeben ist. Ich bin für wütendes Streiten und sanftes Vertragen, weil es zeigt dass wir uns noch lieben und es vieles zu retten gilt. Genauso bin ich ich für das Feiern kleiner Erfolge, wie etwa diesem verliebten Verbundenheitsgefühl auf der Demo.

  1. „emphatischer intersektionaler Feminismus“ – Genau dafür werde ich auf dem nächsten fem.-Streik-Plenum werben! So ein toller Text, der die Angst nimmt, eine schlechte Feministin zu sein.

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