Appell einer Generation

von Joshua Rumpf | Bild: © Friederike Teller

Wir, eine Generation, welche um die Jahrtausendwendegeboren wurde, sind mit dem Gedanken eines vereinten Europas aufgewachsen. Unsere Eltern erklärten uns, dass wir dasselbe Geld wie unsere Nachbarstaaten haben und wir die Mark nur noch zum Sammeln gebrauchen können.

Bei unseren ersten Reisen merkten wir nicht einmal, dass wir über eine Landesgrenze gefahren sind, da es keine Kontrollen gab und wir problemlos an Schüler*innenaustauschen teilnehmen konnten. Wir knüpften europaweite Verbindungen, welche bis heute bestehen. Ob auf Spielplätzen oder im Kindergarten, wir spielten von klein auf mit Kindern, welche die verschiedensten kulturellen Hintergründe hatten.  Uns war als Kindern der Gedanke fremd,  Menschen nach Rasse oder Herkunftsland einzuteilen. Wie sollten wir das auch denken, schließlich hatten wir trotz der Unterschiede dieselben Werte: Gemeinschaft, Familie, Toleranz und Liebe. Dazu wurden wir mit faszinierenden und neuen Kulturen in Berührung gebracht, sei es durch Essen, Musik, Kleidung oder Traditionen. Wir lernten die Vielfältigkeit lieben und entwickelten unbewusst eine neue Kultur, welcher all diesen verschiedenen Kulturen entsprungen ist. Eine Kultur der Akzeptanz, der Vielfältigkeit, des Entdecken und des Teilens.

Leider mussten wir auch lernen, dass wir zwar mit verschiedensten Menschen zusammen spielen, lernen oder chatten dürfen, aber dass in Zeiten einer wirtschaftlichen Krise wieder zwischen den kulturellen Hintergründen, dem Aussehen und der Lebensweise der Menschen unterschieden wird. Dass es wichtiger ist, die Wirtschaft durch Rettung der Banken zu erhalten, als Menschen vor dem finanziellen Ruin zu bewahren und ihnen eine Zukunft zu bieten. Wir merkten, dass wir vielleicht eine global vernetzte Wirtschaft haben, aber dass unsere Eltern und Großeltern deswegen noch lange nicht an eine globale Gemeinschaft, Kultur oder gar Menschheit glauben müssen. Schließlich sind sie meist mit einem klaren Feindbild aufgewachsen. Zur Zeit des Kalten Krieges gab es keinen globalen Zusammenhalt, sondern es wurde in West und Ost gedacht. So wurden Grenzen gezogen und es wurde zwischen Menschen und Systemen unterschieden. Eine Welt ohne ein klares Feindbild verunsichert sie, wie man an den Reaktionen auf die vermeintliche und vage Terrorgefahr sieht. Aus diesem Grunde werden wieder Grenzen gezogen, Mauern gebaut, Rechte beschränkt und es wird wieder stärker an Nationalstaaten gedacht. So erschaffen sie sich wieder Feindbilder, um sich stärker zu fühlen. Dabei ignorieren sie, dass sie uns, einer europäischen Generation, durch dieses Beschränken der Freiheiten und Kultur erhebliches Leid zufügen. In ihrer Egozentrik zerkleinern sie die EU, wählen Despoten, beschränken unsere Rechte, zerstören die Umwelt für Geld und wollen ihre Gedanken zu unseren machen. Sie wischen die Bedenken hinweg, dass sie durch die Ausbeutung des Planeten uns, ihren Kindern und Enkeln, die Zukunft rauben. Auch in Deutschland trifft eine alternde Gesellschaft Entscheidungen gegen ihre Kinder. Es wird versäumt in Bildung zu investieren, es werden Konzerne geschützt, welche die Umwelt mutwillig zerstören, es wird die Wirtschaft über den Menschen gestellt und der Boden des Nationalismus genährt.

Dass dies unserem globalen und weltoffenen Weltbild widerspricht und uns die Zukunft zerstört, wird nicht erwähnt. Wir wissen nämlich, dass wir nur gemeinsam den Planeten und die Menschen bewahren können. Ohne ein selbstloses Teilen werden wir den Hunger nicht aushungern können. Wir sollten, statt auf Abgrenzung, Geld und Krieg, auf Freude, Gemeinschaft und Nächstenliebe setzen, wodurch der Lebensstandart aller Menschen angehoben werden würde. Dieser Gemeinschaftssinn wird beispielsweise durch die vielen selbstlosen Helfer*innen, während der Unterbringungs- und Versorgungsproblematik der Geflüchteten 2015 in Deutschland deutlich. Diese Ehrenamtlichen zeigen, dass es selbstlose und hilfsbereite Menschen in der Bevölkerung gibt. Aber auch der Staat kann unabhängig von seiner Bevölkerung versuchen, den Lebensstandart und das Wohlbefinden aller Bewohner*innen zu steigern. So gibt es beispielsweise in dem kleinen asiatischen Königreich Bhutan, seit dem 18. Jahrhundert die Grundzüge für das 1979 erstmals erwähnte „Bruttonationalglück“. Dessen vier Säulen: Eine sozial gerechte Gesellschaft und Wirtschaft, Kulturförderung, Umweltschutz und gute Regierungs- und Verwaltungsstrukturen, bilden den Grundstein der bhutanischen Politik. Das „Bruttonationalglück“ soll für einen höheren Lebensstandart für alle sorgen, ohne, dass dabei die Menschen oder die Natur geschädigt werden. Ähnliche Aspekte hat das Prinzip des Sumak Kawsay, welches das Prinzip des guten Lebens bedeutet, in Bolivien und Ecuador oder die W3 Indikatoren in Deutschland. Allerdings werden die W3 Indikatoren genauso wie der World Happiness Report der UNO, welcher die Lebenszufriedenheit der meisten Gesellschaften misst, kaum beachtet. Sie werden nicht beachtet, weil sie die Wirtschaft verkomplizieren würden.

Vielleicht ist es zu viel verlangt, dass ihr an unsere globale Kultur glauben mögt. Aber bitte, gebt uns wenigstens die Chance euch zu überzeugen, dass es sich lohnt aus einem System, indem Menschen nur Zahnräder einer Wirtschaftsmaschinerie sind, auszubrechen. Denn dieses System hat nie die Menschheit, sondern immer nur einige Menschen bereichert. Lasst uns den Menschen wieder als soziales Wesen in den Fokus stellen und Abschottung und Egoismus den Rücken kehren. Verkleinert die EU nicht noch weiter, denn wie sich beim Brexit zeigt, ist dies gegen den Wunsch der jungen Menschen. Unsere Generation hat für ein Zusammenbleiben und Zusammenwachsen der Europäischen Union gestimmt. Genauso lehnen vor allem wir die AfD und ihre Hetze ab. Sie ist eine Partei der Älteren. Dennoch bestimmen Wahlen, wie das Brexit-Referendum, wie auch die Wahlen in Deutschland, gegen unseren Willen, unsere Zukunft. Darum bitten wir euch, dass ihr ab jetzt uns die Entscheidungen treffen lasst. Ihr lebt eure Zukunft bereits, während wir unsere noch vor euch retten müssen.

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